Ihre Eingabe vom 14.11.2023 betreffend das Vorschlagsrecht einer Ratsfraktion zur Wahl eines Ortsvorstehers; meine Zwischennachricht vom 16.11.2023
Sehr geehrter Herr Diekmann,
Anlass Ihrer im Betreff genannten Eingabe ist die erforderliche Neuwahl des Orts-vorstehers für die Ortschaft Altendorf, nachdem der ehemalige Ortsvorsteher sein Amt im April 2023 niedergelegt hat.
Aufgrund des bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2020 erzielten Wahlergebnisses in der Ortschaft Altendorf wurde auch bei der Neuwahl der CDU-Ratsfraktion das Vorschlagsrecht eingeräumt.
Die zunächst in der Ratssitzung am 06.09.2023 beabsichtigte Wahl wurde aufgrund von seitens der CDU-Fraktion erklärtem weiteren Beratungsbedarf in die darauffolgende Sitzung am 02.11.2023 vertagt. Nach den vorliegenden Informationen erlangte der vorgeschlagene Kandidat (Herr Koll) jedoch bei der Wahl nicht die erforderliche Ratsmehrheit, so dass das Amt des Ortsvorstehers Altendorf weiterhin unbesetzt ist.
Aus Ihrer Sicht hat die CDU-Fraktion damit ihr Vorschlagsrecht ausgeschöpft. Dabei berufen Sie sich u. a. auf den Fall der Abberufung eines Ortsvorstehers, für den § 39 Abs. 6 S. 3 der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) die Regelung des § 67 Abs. 4 GO NRW (Abberufung und Nachfolge stellvertretender Bürgermeister) für entspre-chend anwendbar erklärt. Nach § 67 Abs. 4 S. 6 GO NRW ist der Nachfolger innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu wählen.
Eine weitere Verzögerung des Verfahrens werde Ihrer Meinung nach den Bürgerinnen von Altendorf nicht gerecht und könne nicht Sinn des Gesetzgebers sein.
Ortsvorsteher sind „mit der Wahrnehmung und Vertretung der Belange des Bezirks gegenüber dem Rat und der Verwaltung betraut." Sie sind „ein Bindeglied zwischen Bezirksinteressen und gesamtgemeindlicher Verwaltung. "(s. Kommentierung Krü-per/Herbolsheimer in BeckOK Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, Dietlein/Heusche, 25. Edition Rn. 25)
Die Vertretung wählt die Ortsvorsteher unter Berücksichtigung des bei der Wahl des Rates im jeweiligen Gemeindebezirk erzielten Stimmenverhältnisses für die Dauer der Wahlperiode. Sie sollen in dem Bezirk, für den sie bestellt werden, wohnen und müssen dem Rat angehören oder angehören können (s. § 39 Abs. 6 S. 1 u. 2 GO NRW). Die Neuwahl eines Ortsvorstehers — wie in vorliegendem Sachverhalt erforderlich - erfolgt für den Rest der Wahlzeit des Rates.
In Bezug auf die gesetzliche Vorgabe der Berücksichtigung des bei der Ratswahl im Gemeindebezirk erzielten Stimmenverhältnisses führt die Kommentierung Wansleben in PdK NW zu § 39 GO NRW Folgendes aus: „Absicht des Gesetzgebers war es zu verhindern, dass auf Grund der im Rat beste-henden Mehrheitsverhältnisse einem Gemeindebezirk ein Ortsvorsteher aufgezwun-gen wird, der dort nur eine Minderheit — von seiner Parteizugehörigkeit her gesehen — repräsentiert. Schwierigkeiten bei der Auslegung des § 39 Abs. 6 Satz 1 ergeben sich deshalb nicht, wenn eine Partei oder Wählergruppe im Gemeindebezirk die ab-solute Mehrheit der Stimmen erreicht hat; dann muss eine von dieser Partei oder Wählergruppe namhaft gemachte Person zum Ortsvorsteher gewählt werden. Wählt der Rat eine andere Person, so ist das Wahlergebnis nicht berücksichtigt und die Wahl müsste vom Bürgermeister gern. § 54 Abs. 2 beanstandet werden. Häufig gibt es aber keine absoluten Mehrheiten einer Partei im Gemeindebezirk. Deshalb fragt sich, ob dann die stimmenmäßig stärkste Partei (relative Mehrheit) im Gemeindebezirk berücksichtigt werden muss oder ob der Rat auch Kandidaten von Parteien oder Wählergruppen — möglicherweise auf Grund von Koalitionsabspra-chen — wählen kann, die im Bezirk nicht die meisten Wählerstimmen erhalten ha-ben. Da der Ortsvorsteher nach § 39 Abs. 6 „unter Berücksichtigung des bei der Wahl des Rates im jeweiligen Gemeindebezirk erzielten Stimmenverhältnisses" zu wählen ist, räumt das Gesetz dem Rat grundsätzlich eine Auswahl unter den Bewer-bern auf Grund freier Meinungs- und Willensbildung ein, wobei mehrere Wahlergeb-nisse möglich und rechtlich zu respektieren sind (OVG Münster, Urt. vom 21.10.1988, NWVBI. 1989 S. 50 m. A.; Urt. vom 14.6.1994, Kommunalpraxis 1994 5. 22). Der Entscheidungsspielraum des Rates wird begrenzt durch das Gebot zur Be-rücksichtigung der im Gemeindebezirk erzielten Stimmenverhältnisse. Während nach Literaturmeinung (MittNWStGB 1975 S. 422/424, KPBI. 1975 S. 760, Dun-kel/Theiß, S. 58/59; v. Loebell/Henrichs, „Die Bezirksverfassung", 3. Aufl., S. 36), der Begriff „berücksichtigen" letztlich nicht mehr als „würdigen" oder „in seine Erwägungen einbeziehen" heißt, bezeichnet das OVG Münster (Urt. vom 14.10.1988, a. a. 0.; insbesondere Urt. KV/GO NW/August 2018 vom 14.6.1994, a. a. 0.) ihn als „Direktive", die eine Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des Rates beinhaltet. Dem Gebot der Berücksichtigung des Stimmenverhältnisses im Gemeindebezirk ist jedenfalls dann genügt, wenn der Bewerber derjenigen Partei gewählt wird, die im jeweiligen Gemeindebezirk die relative Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Abwei-chungen sind jedoch möglich, solange das Wählervotum und die im Gemeindebezirk bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Ergebnis der Wahl noch Ausdruck finden. So dürfte beispielsweise die Wahl des Vertreters einer Partei oder Wählergruppe, die im Gemeindebezirk nicht die Stimmenmehrheit erhalten hat, von § 39 Abs. 6 Satz 1 GO gedeckt sein, wenn der Vorsprung der besser platzierten Partei so gering ist, dass er bei der Gewichtung der Mehrheitsverhältnisse vernachlässigt werden kann (OVG Münster, Urt. vom 14.6.1994, a. a. 0.). Eine Wahl auf Grund von Absprachen oder Listenverbindungen sieht das Gericht nur „in besonders gelagerten Fällen" als zulässige Möglichkeit an. Vereinbarungen der Ratsfraktionen, die erst nach der Kommunalwahl anlässlich der Wahlen der Ortsvor-steher getroffen werden, kommt im Rahmen des § 39 Abs. 6 Satz 1 GO in aller Regel keine Bedeutung zu, da ihnen sowohl die unmittelbare Beziehung zum Wählervotum als auch der Bezug zum jeweiligen Gemeindebezirk fehlt. Dagegen dürften Koaliti-onsabsprachen über die Kandidaten für die Wahlen der Ortsvorsteher, die vor der Kommunalwahl erfolgt sind, vom Entscheidungsspielraum des Rates gedeckt sein, da dieser Fall für den Wähler bei seiner Stimmabgabe offensichtlich erkennbar war (MittNWStGB 1990S. 57; KPBI. 1992 S. 267; OVG Münster, Urt. vom 14.6.1994, a. a. 0.)."
Das Stimmenverhältnis stellte sich bei der letzten Kommunalwahl 2020 in der Ort-schaft Altendorf wie folgt dar: CDU: 42,51% BfM: 19,66% SPD: 16,71 % GRÜNE: 12,29 % UWG: 6,63% FDP: 2,21 %
Damit hat die CDU gegenüber der zweitplatzierten BfM deutlich mehr Wählerstim-men erhalten. Der Vorsprung ist Bezug nehmend auf o. a. Kommentierung bzw. die OVG-Rechtsprechung vom 14.06.1994 nicht als so gering zu bezeichnen, dass er bei der Gewichtung der Mehrheitsverhältnisse vernachlässigt werden kann. Denn nur in diesem Fall dürfte ausnahmsweise von der Zugrundelegung der relativen Stim-menmehrheit abgewichen werden.
Zum Verfahren im Falle scheiternder Ortsvorsteherwahlen mangels Erreichen der absoluten Ratsmehrheit enthält die GO NRW keine Regelung. Es werden insoweit keine gesetzlichen Ausnahmen von den Vorgaben des § 39 Abs. 6 GO NRW zugelassen.
Auch lässt sich der zur Verfügung stehenden Kommentarliteratur eine Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung nicht entnehmen.
Über evtl. vor den Kommunalwahlen 2020 zwischen Fraktionen des Rates der Stadt Meckenheim getroffene Absprachen liegen hier keine Erkenntnisse vor. Angesichts der nach der Kommunalwahl erfolgten Ortsvorsteherwahlen (für Altendorf: CDU-Vorschlag) werden insoweit relevante interfraktionelle Vereinbarungen nicht angenommen.
Vor dem Hintergrund der Bedeutung einer zügigen Nachbesetzung sind Überlegun-gen zu möglichen Folgen misslingender Wahlen grundsätzlich nachvollziehbar. Wie oben ausgeführt, lässt sich im Hinblick auf den dargestellten Sachverhalt aus dem Gesetz ein Abweichen von den Vorgaben des § 39 Abs. 6 GO NRW jedoch nicht begründen. Das Wahlvorschlagsrecht aufgrund der besonderen Situation z. B. Ihrer Fraktion aufgrund des bei der Kommunalwahl 2020 in Altendorf erzielten zweitbesten Stirn-menergebnisses zuzusprechen, würde aufgrund des nicht nur geringen Stimmen-vorsprungs der CDU vielmehr der gesetzlichen Intention zuwiderlaufen.
Der Fall der Abberufung eines Ortsvorstehers, den Sie als Vergleich heranziehen, ist aufgrund des Verweises auf § 67 Abs. 4 GO NRW speziell geregelt. Hier könnte sich allerdings ebenfalls die Problematik ergeben, dass eine Wahl des Nachfolgers/ der Nachfolgerin mangels Erreichens der erforderlichen Mehrheit nicht innerhalb der geltenden Frist zustande kommt. Auch dieser Fall ist gesetzlich nicht geregelt.
Unter Berücksichtigung der Rolle des Ortsvorstehers als Repräsentant der Ortschaft, den sich hieraus ergebenden besonderen rechtlichen Anforderungen an die Wahlentscheidung (s.o.) bzw. der insoweit gesetzlich begrenzten Entscheidungsbe-fugnis des Rates verbleibt das Vorschlagsrecht für die Wahl des Ortsvorstehers für Altendorf trotz der am 02.11.2023 gescheiterten Neuwahl bei der CDU-Ratsfraktion.
Der Bürgermeister der Stadt Meckenheim erhält eine Durchschrift Ihrer Eingabe so-wie dieser Antwort zur Kenntnisnahme. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag
Knorr
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